Großer Weißer Hai (Carcharion carcharias)Trotz unseres eingeschränkten Wissens über die Weltmeere ist doch jedem Menschen das wohl gefürchtetste Raubtier des nassen Elements bekannt – Carcharodon carcharias, der Weiße Hai. Mit über 7 Metern Länge gehört er zu den größten fleischfressenden Haiarten der Welt. Sein Rücken ist braun, grau oder bläulich, seine Bauchseite heller, was eine vorteilhafte Tarnung im Wasser darstellt. Im Jahre 2000 registrierte man 85 Fälle von Weißhaiangriffen, darunter 13 mit Todesfolge. Experten führen diese hohe Zahl der Angriffe nicht auf eine größere Aggressivität der Tiere zurück, sondern auf die wachsende Zahl von Urlaubern, die in immer größerer Distanz zum Strand tauchen und surfen – denn für einen Weißen Hai ist ein Mann, der auf einem Surfbrett liegt, kaum von einer Robbe zu unterscheiden.
Zwar existieren Haie mit einer Körperlänge von über 15 Metern (Cetorhinus maximus, der Riesenhai, und Rhinocodon typus, der Walhai), doch diese ernähren sich hauptsächlich von Plankton, marinen Kleinstlebewesen, die sie während des Schwimmens in riesigen Mengen aufnehmen. Kleine Fische lassen sich vor den Mäulern dieser gewaltigen Haie treiben, ohne fürchten zu müssen, verschlungen zu werden. Die Tiere können dem Menschen also nicht gefährlich werden, es sei denn, sie versetzen ihm versehentlich einen Schlag mit ihren mächtigen Schwanzflossen.
Aber wie lassen sich Beobachtungen von Meereslebewesen erklären, die die Ausmaße eines Walhais haben – jedoch die furchterregende Gestalt eines Weißen Hais?
Um dieser Vorstellung nahe zu kommen, führe man sich einen Raubhai vor Augen, der 3 Mal so lang und etwa 4 Mal so schwer wie der Weiße Hai ist, sprich knapp 13 Tonnen. Seine Nasenlöcher sind so groß wie Grapefruits, in seinem Maul sitzen mehrere Reihen messerscharfer Zähne, jeder einzelne so groß wie eine Hand. Im Maul dieses Ungeheuers würden sechs erwachsene Menschen Platz finden. Tief unter der Oberfläche des Ozeans macht es Jagd auf Wale und Kalmare ...
Solch ein Monstrum der Meere hat es tatsächlich einmal gegeben – bis es (nach Ansicht der Wissenschaftler) vor knapp 10 Millionen Jahren ausgestorben ist. Die einzigen Belege für seine Existenz fand und findet man an den Küsten Amerikas, Europas, Afrikas und Australiens in Form von Tausenden von versteinerten dreieckigen Zähnen, die an der gesägten Kante im Einzelfall bis zu 15 Zentimeter lang sind. Die größten Weißhaizähne, die man fand, waren lediglich 7,5 Zentimeter lang.
Der Grund dafür, dass man nur Zahnfossilien dieser gewaltigen Tiere fand, liegt darin, dass das Skelett eines Haies aus Knorpel besteht. Nach seinem Tod verwest es völlig – nur die Zähne bleiben übrig und werden im Laufe der Jahrmillionen zu steinernen Fossilien. Ein Hai kann in seinem Leben bis zu 30.000 Zähne produzieren. Die vorderste Zahnreihe im Ober- und Unterkiefer wird etwa alle 10 Tage komplett ersetzt. Bricht einer der nur locker sitzenden Zähne bei einem Angriff heraus, schiebt sich ein anderer an seinen Platz.
Wissenschaftler gaben jenem monströsen prähistorischen Hai, der vor 25 Millionen Jahren zum ersten Mal auf Raubzug ging und über einen großen Zeitraum der unangefochtene Herrscher der Tiefe war, den Namen Carcharodon megalodon. Bei einem kräftigen Biss dieser Kreatur wirkte sich auf das Opfer ein Druck von bis zu 3 Tonnen pro Quadratzentimeter aus.
Im Jahr 1909 rekonstruierten Wissenschaftler für das American Museum of Natural History in New York anhand von verschiedenen Zahnfunden die Kieferknochen eines Megalodon. Als das Werk vollendet war, maß es 2,74 Meter in der Breite und war ganze 1,83 Meter hoch. Mithilfe dieses Gebisses konnte man auf eine Gesamtlänge des Tieres von 24 Metern schließen.
Doch spätere Untersuchungen ließen erkennen, dass die Dimensionen so nicht stimmen. Mit anderen Zahnfunden, die man einem einzigen Exemplar zuschrieb, fertigte man neue Rekonstruktionen an. Eine davon steht seit 1985 im Smithsonian Institution und ist um ein Drittel kleiner. Doch selbst diese Größe zweifelt man heute an: Die aktuellen Längenschätzungen gehen von „nur“ 12 bis 13 Metern aus.
Vielleicht müssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass einige Vertreter dieser erschreckenden Spezies noch heute in den tiefen Regionen des Pazifiks umherstreifen – denn von dort sind einige Berichte aufgetaucht von Menschen, die behaupten, einen lebendigen Hai von unglaublichen Ausmaßen gesehen zu haben.
James F. Clark schreibt in seinem Artikel Serpents, Sea Creatures and Giant Sharks: „Ein gigantischer Hai von der Größe eines C. megalodon bewohnt gegenwärtig die Tiefsee. Diese Bestie, die 20 bis 40 Meter lang wird, ist eng mit dem rezenten C. carcharias verwandt. Vielleicht ist sie auch nur eine Riesenform dieser Art.“
Doch letztere Argumentation ist falsch. Bei Megalodon und Weißhai kann es sich nicht um ein und dieselbe Spezies handeln, denn die Zähne beider Arten unterscheiden sich deutlich in Form und Farbe, und einige Paläontologen vermuten, dass die gemeinsame Wurzel der beiden Haie weit zurückliegt. Der auffallendste Unterschied liegt in einem „Winkel“ über der Wurzel des Megalodonzahns, den man bei Weißhaien nicht findet. Zudem hat er eine viel feiner gesägte Kante. In jüngerer Zeit sind Paläoichthyologen zu dem Schluss gekommen, dass beide Arten nicht einmal zur selben Gattung gehören. Da die Zähne des Weißen Hais stärker denen eines Mako (Isurus hastalis) ähneln, vermutet man, dass C. carcharias von I. hastalis abstammt und der Megalodon besser als Carcharocles megalodon bezeichnet werden sollte. Wenn der prähistorische Megalodon auch nicht mehr in den Weltmeeren weilt, steht doch so gut wie fest, dass es mindestens so lange überlebt hat, dass es sich für eine gewisse Zeit mit dem C. carcharias seinen Lebensraum teilen musste.
In etwa 4.000 Metern Tiefe fand man im Südpazifik Megalodonzähne von 10 mal 7 Zentimetern Größe, die recht frisch aussahen. Man nimmt aufgrund dieser Funde an, dass die räuberischen Monsterhaie erst in jüngerer Zeit ausgestorben sind – vor 24.000 bis 11.000 Jahren.
Nun jedoch zu einigen Sichtungen riesenhafter Haie von der Gestalt eines Megalodon. Solche Beobachtungen sind selten (zumindest wurden nur wenige der Öffentlichkeit bekanntgegeben), und diese raren Berichte sind nicht einmal besonders glaubwürdig; doch in Zusammenhang mit dem Megalodon sollten sie erwähnt werden.
Größenvergleich Weißer Hai/Megalodon (© Patrick Seifert, SdP)
Im Jahr 1918 weigerten sich einige Fischer tagelang, zu ihren Fangplätzen vor Broughton Island (Kanada) auszufahren.
Die Männer arbeiteten wie üblich auf hoher See, als ein Hai von „fast unglaublichen Ausmaßen“ auftauchte und alle Hummertöpfe verschlang – inklusive Topf, Angelleinen und anderen Fischutensilien. Die Töpfe hatten einen Durchmesser von etwa 1,1 Metern und enthielten jeweils 2 bis 3 große Hummer, von denen jeder mehrere Pfund wog. Diesen Hai, so die Männer, hätten sie sich nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen vorstellen können.
Es sah ganz danach aus, als hätten die (übrigens unverletzt gebliebenen) Fischer einen der letzten Megalodons gesehen. Doch die Längen, die sie angaben, waren absurd. Einer der Fischer beteuerte, dieses Monster sei „mindestens 100 Meter lang“ gewesen! Vermutlich hat er in seiner Aufregung übertrieben, doch auch anderen Zeugen erschien das Geschöpf riesig. Beobachter an Land meinten, es sei etwa so lang gewesen wie der Kai, auf dem sie standen – fast 35 Meter. Sie sagten weiterhin, dass das Wasser regelrecht „gekocht“ habe, als der Hai hindurchglitt. Sie alle kannten Wale, doch das Tier das sie sahen war eindeutig ein Hai. Jeder konnte seinen furchterregenden Kopf sehen, der so lang wie das Dach eines Kaischuppens war. Zwar erscheinen diese Angaben mehr als abenteuerlich, doch die Seeleute waren nüchterne, unerschütterliche Menschen, die kein Seemannsgarn erfanden, gewöhnlich sogar nie über ihre Fänge sprachen. Es fiel auf, dass alle Zeugen dieses Vorfalls unabhängig voneinander übereinstimmend die geisterhaft weiße Farbe des Fisches beschrieben.
Irgendwann in den späten 1920er Jahren ging der Autor Zane Grey gerade vor Rangiroa im Südpazifik seiner Leidenschaft, dem Tiefseeangeln, nach, als er sich über die Reling beugte und einen außergewöhnlich großen, gelblich-grünen Hai mit einigen weißen Farbtupfern und einem quadratischen Kopf im Wasser erblickte. Grey schätzte die Länge des Tieres auf 10,5 bis 12 Meter. Einige neuseeländische Fischer sahen den Hai ebenfalls und konnten die Angaben des Mannes bestätigen. Grey war überzeugt, dass es sich nicht um einen Walhai handelte (obwohl seine Beschreibung gut auf einen solchen passt, was die Sichtung auch nicht sonderlich beweiskräftig erscheinen lässt).
Zane Greys Sohn Loren sah 1933 an Bord der S. S. Manganui ein ähnliches Tier. Vater und Sohn waren auf der Rückfahrt von einem Anglerausflug bei Tahiti nach San Francisco, als Loren Grey zunächst eine gelben Wasserbereich erspähte. Im ersten Moment glaubte er, es sei ein Wal, doch die horizontale Bewegung des bräunlich gefärbten Schwanzes im Kielwasser des Schiffes ließ darauf schließen, dass es ein Hai sein musste. Nach den Angaben der beiden Männer war dieser zwischen 12 und 15 Metern lang. Loren Grey war sich absolut sicher, dass es kein Walhai war. Vielleicht war diese Angabe aber auch von der Behauptung seines Vaters geprägt...
Die polynesischen Fischer in New South Wales glauben an den sogenannten Lord of the Deep, ein ca. 30 Meter langes Seeungeheuer, das einem Weißen Hai nicht unähnlich sehen soll. Vielleicht waren die von den Greys gesichteten Tiere (was immer sie letztendlich waren) Urheber dieser Legende.
Aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts stammt ein weiterer Bericht. In der Nähe des Great Barrier Riffs war ein Schiff vor Anker gegangen, um notwendige Reparaturen durchzuführen. Plötzlich erschien ein enorm großer weißlich gefärbter Hai, der dicht unter der Oberfläche an dem Schiff vorüberschwamm. Er war nach den Angaben der Seeleute, die erst Jahre nach der Begebenheit von ihrer Sichtung berichteten, genauso lang wie ihr Schiff – 26 Meter!
Der Bericht allerdings wurde niemals bestätigt und ist somit leider kaum auszuwerten.
Ein weiterer riesiger, haiartiger Fisch wurde im Oktober 1999 vor Deer Island, New Brunswick (Kanada) beobachtet. Die Zeugen Bill Curtsinger und Heather Perry sagten aus, sie hätten, als sie sich gerade auf ihrem Boot befanden, ein lautes Geräusch – etwa 450 Meter entfernt – im Wasser gehört. Was sie dort sahen, beschrieben sie als die riesige, sichelförmige Schwanz- oder Rückenflosse irgendeines extrem großen Lebewesens. Die schwarze Flosse schätzten sie auf 1,8 bis 3 Meter Länge. Nachdem sie verschwunden war, tauchte sie nicht noch einmal auf. Das Wasser war an dieser Stelle mindestens 90 Meter tief.
Was sahen die beiden Augenzeugen? Kein bekanntes wasserlebendes Tier trägt eine Flosse wie diese – geformt wie die eines Weißen Hais, jedoch um ein Vielfaches größer...
Replik eines MegalodonzahnsAls die ersten fossilen Haizähne gefunden wurden, nahmen unsere Vorfahren an, es seien die versteinerten Zungen von Seeschlangen, die der heilige Plinius einst zu Stein verwandelt hatte. Man gab den Zähnen den Namen Glossopetrae („Steinzungen“). Abergläubige trugen sie als Talisman, da sie angeblich vor Reptilienbissen schützten. Andere glaubten, die Zähne seien Steine, die bei Mondfinsternissen vom Himmel fallen. Als Niels Stensen 1666 einen Weißen Hai präparierte, wies er auf die Ähnlichkeit der Weißhaizähne mit den Glossopetrae hin. Zwar gelang es ihm nicht, zu erklären, wie die Zähne zu Stein geworden waren, er war jedoch davon überzeugt, dass die Steinzungen in Wirklichkeit Haifischzähne sind. Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte man, Fossilien seien Mineralien, die zufällig bekannte Formen angenommen hatten.
Die versteinerten Zähne beweisen zwar, dass es den Megalodon einmal gab, doch greifbare Beweise für sein Überleben gibt es bis heute nicht. Einmal schien es beinahe so weit, als Alvin Maley aus seinem Privatflugzeug aus etwa 500 Fuß Höhe 30 Meilen südlich von Block Island einen gigantischen Hai dicht unter der Wasseroberfläche fotografierte. Man taufte ihn auf den Namen Montauk Monster, er entpuppte sich jedoch schnell als ein gewöhnlicher Riesenhai. Man fand Megalodon-Bissspuren in den versteinerten Knochen kleiner Wale, wie etwa den Beluga-Weißwalen, die auch heute noch existieren und eine hervorragende Nahrungsquelle für überlebende Monsterhaie wären. Größere Beute könnten diese heute wohl nicht auffinden, denn der Mensch hat die meisten der großen Walarten bis an den Rand des Aussterbens getrieben. Auch Haie bleiben nicht verschont: Jährlich werden über 100 Millionen getötet. Vielleicht frisst der Megalodon, wenn es denn noch existiert, wie der Pottwal Kalmare in der Tiefsee, wie man sie schon in den Mägen von Weißen Haien gefunden hat.
Was steckt wirklich hinter den Sichtungen erschreckend großer Raubfische, die dem Weißen Hai auffallend ähneln? Haben die Zeugen gewöhnliche Wal- oder Riesenhaie mit den prähistorischen Ungetümen verwechselt? Doch würde ein Riesenhai das tun, was der vermeintliche Megalodon 1918 mit den Hummertöpfen anstellte?
Der Redakteur des Cryptozoology Review und Haiexperte Ben S. Roesch betrachtet die These vom Überleben der Megalodons sehr kritisch. Es gäbe keinen guten Grund, an ihre Echtheit zu glauben, so Roesch. Die einzigen möglicherweise beweiskräftigen Relikte seien angeblich „frische“ Zähne, doch diese hält der Forscher für Fossilien, deren Alter man schlicht falsch eingeschätzt hat. Tatsächlich können schon kleinste Algen, die sich auf den Zähnen abgesetzt haben, das Ergebnis der Radiokarbonuntersuchung verfälschen. Die wenigen Sichtungen der Riesenhaie erklärt sich Roesch als Fehldeutungen bekannter Meereslebewesen oder als Seemannsgarn. Desweiteren ist der Haiexperte der Meinung, dass sich Megalodons, so wie moderne Weiße Haie, stets in küstennahen Gewässern aufhielten – gäbe es sie noch heute, würde man schnell unzweideutige Beweise ihrer Existenz finden.
Man kann den Fall Megalodon jedoch noch nicht als abgeschlossen ansehen. Angesichts einiger immer wieder gern erwähnter Entdeckungen der Zoologie – wie etwa dem Quastenflosser, dem Riesenmaulhai oder dem Architeuthis – erscheint es durchaus denkbar, dass die riesigen Raubhaie noch heute im Pazifischen Ozean existieren. Dafür gibt es aber kaum Indizien, denn die Echtheit der Sichtungen kann man nicht nachweisen.
Sollte er noch leben, der „Herr der Tiefe“, so hält er sich vermutlich bevorzugt in tieferen Regionen auf und stößt nur selten zur Oberfläche vor. Über die Jahrtausende könnte sich diese Spezies an ein Leben in der lichtlosen Tiefe angepasst haben, worauf etwa die Beobachtung von 1918 schließen lässt, denn alle Augenzeugen beschrieben damals eine blassweiße Hautfarbe des Hais, die in der ewigen Dunkelheit von Nutzen sein könnte.
Vielleicht findet man eines Tages einige nachweisbar frische Zähne oder gar einen Kadaver – dann gilt der „Große Weiße Hai“ tatsächlich als eine noch heute lebende Kreatur der Meere. Die Chancen dafür sind jedoch – wirft man einen kritischen Blick auf die spärlichen Beweismittel – mehr als gering.
Humorvoll betrachten Richard Ellis und John McCosker die Situation ihn ihrem Buch über den Great White Shark: „Bis heute ist noch kein konkreter Beweis aufgetaucht, der die fortwährende Existenz der Giganten untermauert. Aber es wird immer Menschen geben, die darauf warten, dass dieser Fall eintritt. Lasst uns hoffen, dass wir nicht gerade im Wasser sind, wenn es geschieht.“